Juliane Klamser
Mein Name ist Juliane Klamser und ich habe von 2010 bis 2015 in Magdeburg mein Bachelor und Masterstudium in Physik gemacht. Da kommen gleich zwei Fragen auf. Warum Physik und warum in Physik in Magdeburg?
Ich habe Physik studiert, weil ich mich noch nicht so wahnsinnig festlegen wollte. Ich wusste, dass ich etwas Technisches, oder Naturwissenschaftliches studieren wollte. Ich wollte aber noch nicht entscheiden müssen, als was ich später arbeite. Sicher hat man auch als Verfahrenstechnikerin, oder Maschinenbauerin hinterher andere Optionen, aber vor allem vor dem Studium kam es mir sehr beängstigend vor einen Studiengang wie Elektrotechnik zu wählen und damit ganz klar zu definieren, was ich für den Rest meines Lebens sein werde: Elektrotechnikerin (immer noch eine beängstigende Vorstellung).
Ist das bei Physik anders? Ja, durchaus. Ein großer Teil der Physikstudierenden arbeiten hinterher nicht als Physiker, sondern z. B. als Unternehmensberater, oder Ingenieur. Tatsächlich ist der Wechsel vom Physiker zum Ingenieur nicht selten. Warum also nicht gleich einen Ingenieurstudiengang studieren? Ganz einfach! Am Ende des Physikstudiums hat man einen viel größeren Erfahrungsschatz, man hat mehr über sich selbst gelernt und weiß, welche Arbeit einem Freude bereitet und man hat eine sehr fundierte Ausbildung genossen. Diese ermöglicht es einem eben auch Brücken zu konstruieren, oder Algorithmen für den Hochfrequenzhandel zu entwickeln.
Viele Physiker haben es vorgemacht. Das heißt aber nicht, dass es einfach ist. Erfolgreich zu sein und einen Job zu finden, der zu einem passt, erfordert immer Ehrgeiz. Das Physikstudium ist kein Freifahrtschein für einen tollen Job, legt aber alle Voraussetzungen um sich nach dem Studium aus einem extrem weiten Spektrum etwas herauszusuchen, für das man ehrgeizig kämpfen und arbeiten möchte. Das Physikstudium ist also genau das Richtige für alle, die keine Angst vor der Vielfalt und Möglichkeiten haben. Vielen ist es ja auch einfach lieber genau zu wissen, wie ihr Karriereweg aussieht. Das finde ich eher langweilig. Ich finde es spannend zu arbeiten, zu leben und auf Gelegenheiten zu reagieren, die sich einem auf dem Weg eröffnen. Wie das bei mir funktioniert hat, schreibe ich weiter unten. Zunächst aber zu der Frage: Warum Physik in Magdeburg?
Ich bin in der Nähe von Magdeburg aufgewachsen. Nach dem Abi habe ich ein Jahr in Ausland gelebt und gearbeitet. So nah an meinem Heimatort zu studieren war nach diesem Jahr das Letzte, was ich wollte, aber wenn man zwei Wochen vor Semesterbeginn wiederkommt, kann man nicht erwarten, das die Wohnungen in Uni-Städten vom Himmel fallen. Glücklicherweise fand ich noch einen Platz im Wohnheim, sodass ich pünktlich zum Semesterstart bei meinen Eltern ausziehen konnte *noch mal Glück gehabt ;)*. Es hat nicht lange gedauert und ich merkte, dass sich Magdeburg seit meiner Kindheit doch erheblich verändert hatte. Das hartnäckige Vorurteil in meinem Kopf, dass Magdeburg eine hässliche, graue und triste Stadt ist, begann sich aufzulösen. Magdeburg ist wahnsinnig grün und die Elbe schlängelt sich sehr nah an der Uni vorbei.
Sie sorgt ebenfalls für ein aufgelockertes Stadtbild und bietet viele Möglichkeiten für die Freizeit (Wassersport, Radtouren auf den wunderbaren Elbaradwegen, grillen am Elbeufer usw). Die Otto-von-Guericke Universität ist eine Campusuni. Fast direkt hinter den Physikgebäuden liegt der Nordpark, indem die Studierenden im Sommer grillen und auf den Wiesen lernen, oder entspannen. Die Lebenshaltungskosten in Magdeburg sind ein Traum. Man findet selbst in der Innenstadt schöne bezahlbare Wohnungen. Vor allem im Sommer gibt es immer etwas zu unternehmen. Die Studierenden beleben Magdeburg mit Festivals, Kunstausstellungen, Büchermessen und Konzerten. Vom kleinen Kunstkino bis zum Hochseilgarten, findet man in Magdeburg alles was das Herz begehrt, und wenn dann doch mal was nicht da ist, setzt man sich halt in die Mitfahrgelegenheit und ist in 1,5h in Berlin. Den Lebensstandard, den ich mir in Magdeburg als Studentin ermöglichen konnte, war einfach luxuriös. Jetzt lebe ich in Paris und muss auf vieles Verzichten, aber dazu später mehr.
Magdeburg war aber vor allem wegen der Studienbedingungen ein Glücksgriff. Ein Jahrgang ist normalerweise ca. 20 Studierende stark. Zum einen führt das zu einer unheimlich coolen Atmosphäre unter den Studierenden. Zum Anderen führt es dazu, dass man einen direkten Draht zu den Professoren hat. Etwas, was unglaublich wertvoll ist. Probleme, Prüfungstermine und inhaltliche Fragen zu den Vorlesungen können direkt besprochen werden. Die Bachelor- und Masterarbeitet werden meistens direkt vom Prof betreut.
Warum das gut ist? Ich kann erzählen, was mir passiert ist:
Meine Bachelorarbeit habe ich in der Experimentalphysik, genauer in der Halbleiterphysik geschrieben. Nachdem meine Bachelorarbeit fertig war, durfte ich meine Ergebnisse auf internationalen Tagungen vorstellen. Etwas für das so mancher Doktoranden hart kämpfen muss, weil Tagungen teuer sind (Tagungsbeitrag, Reise- und Übernachtungskosten) und ich hatte als blutige Anfängerin nur meinen kleinen Bachelorabschluss. Das bedeutet natürlich, dass ich auch nach dem Abschluss meiner Bachelorarbeit, neben dem eigentlichen Musterstudium, weiter an dem Bachelorprojekt gearbeitet habe. Was auch supercool war: Ich und zwei weitere Kommilitonen durften nach Berlin und an dem Elektronenspeicherring Messungen durchführen.
Solche Erfahrungen sind für spätere Bewerbungen ungemein wertvoll. Sie sind absolut außerhalb der Norm und am Ende braucht man immer etwas, was einen von den anderen Bewerbern absetzt, oder etwas, das dem potenziellen Arbeitgeber zeigt, dass man engagiert arbeitet. Um Bewerbungen schreiben zu können, muss man aber auch erst einmal wissen, wo man arbeiten möchte. Auch für so etwas sind Tagungen und Aufenthalte an internationalen Messstationen unglaublich ergiebig. Man knüpft viele Kontakte und kann viele Fragen stellen (Wie ist es dort? Was gibt es da? Kennst du jemanden, der so was macht?). Allein auf meiner ersten Tagung bekam ich 3 Angebote für eine Promotion im Ausland. Naja, in meinem Fall wurde das alles hinfällig. Ich entschied mich im letzten Masterjahr meine Fachrichtung zu wechseln. Das war eine ziemlich riskante Entscheidung. Alle Kontakte, alle Erfahrung, alles Wissen waren plötzlich nutzlos. Ich hatte aber entdeckt, dass mich die Experimentalphysik nicht reizt.
Sicher, wenn ich nicht schon so in die Forschung eingebunden gewesen wäre, hätte ich den Fakt früher akzeptiert und mich früher umorientiert und alles wäre etwas stressfreier verlaufen, ABER all diese Erfahrung hat mir bei meiner Bewerbung ungemein geholfen, mich von den anderen Kandidaten abzusetzen.
Also, der Wechsel in die Theorie und der Beginn bei 0.
Auch hier hat sich die OvGU als Glücksgriff erwiesen. Die Professoren kennen ihre Studierenden und waren bereit das „Risiko des späten Wechsels“ mit mir einzugehen. Ich hatte freie Wahl und wollte unbedingt Programmieren lernen. Es war nur noch ein paar Monate im Studium und der Gedanke, dass meine ganzen Kontakte dahin waren und ich keinen Plan hatte, wo ich hinterher hingehen sollte, nagte schon ein wenig an mir. Und wieder kam mir die Studierendensituation in Magdeburg zugute. An jeder Uni gibt es Kolloquien, zu denen Professoren von anderen Unis eingeladen werden, um einen Vortrag über Ihre Forschung zu halten. Auch der Professor, der meine Masterarbeit betreute, hatte einen der Vortragenden eingeladen und ich war völlig fasziniert von dem Thema. Und eben einfach weil der Kontakt zu den Professoren in Magdeburg direkt und unverkrampft ist, endete ich zusammen mit meinem Kommilitonen, meinem Betreuer und dem Gastdozenten beim Abendessen.
An diesem Abend fand ich mein neues Ziel, für das sich harte Arbeit lohnen würde: eine Promotionsstelle an einer der Besten Unis in Frankreich. Zugegeben, ein Ziel, dass nicht gerade unambitioniert ist, aber hey! Ohne echte Herausforderung macht es auch keinen Spaß. Mein Betreuer stellte den Kontakt her und ich besuchte den Prof in Paris noch im selben Jahr. Der erste Kontakt war hergestellt. Im Sommer erarbeiteten wir ein Promotionsprojekt, mit dem ich mich, gemeinsam mit hunderten Anderen, auf eine von 60 Stellen bewarb. Die erste Runde bestand nur aus der Projektbeschreibung und meinem Lebenslauf. Um ganz ehrlich zu sein: Ich hatte mir keine großen Sorgen gemacht durch die erste Runde zu kommen. Die grundlegendste Voraussetzung erfüllte ich: gute Noten. Was mich aber von den anderen Bewerbern absetzen würde, waren die zusätzlichen Erfahrungen, die ich Magdeburg sammeln durfte, also vor allem die Tagungsbeiträge und der Forschungsaufenthalt am Elektronenspeicherring. Zu guter Letzt hatte ich viel Zeit als studentische Vertreterin in verschiedensten Uni-Gremien investiert. Auch das half auf meinem Lebenslauf.
In der zweiten Runde waren noch ca 200 Bewerber übrig. Hier musste ich nun einen Vortrag halten, meinen Lebenslauf und das Promotionsprojekt vorstellen. Es hat am Ende geklappt und nun promovierte ich an der Université Pierre et Marie Curie und an der École normale supérieure Paris. Ich habe mich also vorerst dafür entschieden Physikerin zu bleiben. Eine Karriere in der Wissenschaft ist nicht einfach, aber der erste Schritt ist die Promotion. Sollte ich mich später für eine Karriere in der freien Wirtschaft entscheiden, kann ein Doktortitel auch nicht schaden.
Die Möglichkeiten, die mir in Magdeburg eröffnet wurden, waren für meine persönliche Entwicklung, meinen Erfahrungsschatz und meine spätere Bewerbung ungemein wertvoll. Deutschland ist einfach nicht wie Amerika. Ein Abschluss einer Exzellenzuni ist nicht mehr wert, als der einer mittelgroßen Uni wie Magdeburg. Aus meiner Sicht ist der wichtigste Punkt Gelegenheiten und Möglichkeiten zu erkennen und zu ergreifen. An kleineren Unis tun sich eventuell einfacher Chancen auf, weil man nicht unsichtbar ist. Man ist nicht einer unter vielen. Man hat einen Namen, den sogar die Professoren kennen ;).